Leon Neschle 22 (29. Woche 2007)

„Humankapital“, letzter Nachschlag:
Humaner Tod und ewiges Kapital!

Wo die Sonne der Weisheit am tiefsten steht, werfen selbst Zwerge große Schatten. (Karl Kraus)

Ein der Humanwirtschaft verpflichteter Verfasser, Herr Creutz, hat in einer Zeitschrift gleichen Namens, also „Humanwirtschaft“ und nicht Creutz, große Unterschiede zwischen Humankapital und Finanzkapital festgestellt[1]. In einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung hätte Neschle ihm keine Beachtung geschenkt, nicht eine Zeile an seine Ausführungen verschwendet. Da hält Neschle es mit Lichtenberg (Heft B 1768 – 1771): „Mich dünkt immer die ganz schlechten Schriftsteller sollte man immer in den gelehrten Zeitungen ungeahndet lassen; die gelehrten Zeitungsschreiber verfallen in den Fehler der Indianer, die den Orang-Utan für ihresgleichen … halten …“.

Der sensitive oder gar sensible Leser mag den Spruch hart, ja arrogant finden. Er sollte warten, bis er Neschles Essay gelesen hat! Dann hält er diesen Spruch möglicherweise für zu milde! – Warum aber setzt sich Neschle mit Creutz auseinander? Unwichtiges sollte man auch unwichtig nehmen! Und man sollte niemanden creutzigen, den keiner anbetet! Wissenschaftler beten Creutz nicht an!

Doch dies hier ist kein „wissenschaftliches“ Essay! Es riecht nicht nach Fußnote, sondern es duftet nach Kopfnote! Also warum diese Auseinandersetzung? Weil es gilt, die Scheinheiligkeit von Humanitätsduslern zu entlarven. Wieder einmal! Die führen die Tugend im Munde, doch den Menschen in die Hölle, wenn sie ihn nicht schon hienieden mit den Pfeilen ihrer perfiden Rechtschaffenheit erledigen! Solchen Leuten imponiert Creutz vermutlich. Das ist es, was Neschle zu diesem Essay reizt! Creutz’ Argumentation ist gespickt mit aufgekochtem Sozial-Mus, den vor allem „soziale“ Nichtökonomen gern glauben. Die sind aufnahmewillig für solche Argumente!

Creutz nennt sich „Ökonom“!? Das darf jeder ohne ein „Diplom“ davor. Früher war das sogar jeder Bauer. Creutz ist allerdings der einzige Neschle bekannte „Ökonom“, der sich dem Verdikt der philologischen Jury (siehe Neschle 19, Neschle 20, Neschle 21) gegen das Unwort „Humankapital“ anschließt. Selbst wenn Creutz ein „echter“ Ökonom wäre, er wäre deshalb auf keinen Fall ein „wahrer“. Seine Vorstellungen sind nämlich ein Musterbeispiel „ökonomischer Unvernunft“. Unter dem Mäntelchen des Humanen verbreitet er Ansichten mit inhumanen Folgen, arglos einschmeichelnd, voll inbrünstiger Verbohrtheit in die eigene selbstgefühlte Bonhomie.

Nun mag zwar jeder „wahre Ökonom“ ein wenig naiv sein, aber nicht jeder, der naiv ist, ist ein „wahrer Ökonom“. Creutz jedenfalls nicht! Das wird Neschle zeigen!

A. Finanzkapital stirbt nicht, Dummheit leider auch nicht!

Die Verwendung des Wortes Humankapital sei – so Creutz – „nicht nur fahrlässig, sondern geradezu zynisch“. Denn: „Die Übertragung des Kapitalbegriffs auf den Menschen bzw. auf die menschliche Arbeitskraft verschleiert die gegebenen kapitalbedingten Ausbeutungsmechanismen“.

Schleier? Au Weia! Natürlich nur für alle anderen. Creutz sieht klar! Er enttarnt die Ausbeutungsursache mitten durch die Mauer humankapitaler Sprachvernebelung:

Humankapital, so Creutz, verschwinde nämlich mit dem Verlust von Arbeitsfähigkeit und dem Tod eines Menschen aus dieser Welt, ist dann sozusagen „totes Kapital“. Finanzkapital sterbe dagegen nie. Es bleibe bestehen.

Da sagt Neschle: Zum Glück für Rentnerinnen und Rentner, wenn deren Arbeitsfähigkeit nachlässt! Sonst stünden sie am Ende ihres Lebens oder nach dem Verlust des Partners ohne Geld da!

Dennoch ist Finanzkapital nicht unsterblich. Finanzkapital kann zwar den Menschen überleben, sonst gäbe es keine Erbschaften. Muss es aber nicht! Denn wäre Finanzkapital unsterblich, könnte man mit dem berühmten Pfennig oder Cent, den man zu Christi Geburt angelegt hat, heute die ganze Welt kaufen.

Warum aber stirbt Capital nach Unsicht (Nicht „Ansicht“!) von Creutz nicht?

Finanzkapital stirbt einen anderen Tod, meist sogar einen schnelleren als die Menschen, die es besitzen[2], z.B. in Insolvenzen oder Währungsreformen. Die Arbeitnehmer von Enron leben noch, beerdigen mussten sie aber das Finanzkapital, das sie dort investiert hatten. Dieses Kapital ist tot. Ermordet vom Management, das damit bewies: Wer zu nichts fähig ist, ist zu allem fähig! Fähig dazu, selbst das nach Creutz Unsterbliche zu töten. Das gibt es sonst nur im Kino! – Daraus lernt man: Creutz ist hochbegabt darin, sein Wissen durch Phantasie zu ersetzen!

Die Mär vom unsterblichen Kapital glaubt nämlich nur, wer als Geldanlage allein „sichere“ Sparformen kennt und verkennt, dass für diese Sicherheit andere mit ihrem Kapital die Risiken übernehmen müssen. Diese Welt ist nicht sicher. Wer in einer solchen Welt sichere Einkünfte haben will, braucht Leute, die Risiken übernehmen.

Das sind in einem sozialistischen Staat alle, denn dieser Staat ist ein „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“. In einer Marktwirtschaft sind es nur diejenigen, die freiwillig zur Risikoübernahme bereit sind. Zu gegebenen Marktpreisen! Sie spekulieren dabei anders als die Masse der anderen Marktteilnehmer, die sich ihres Risikos entledigen wollen, meist jedoch zu Lasten ihrer Chancen.

Unternehmer und Kapitalisten verdienen manchmal recht sehr gut bei ihrer von sozialistischen Seelen und Bäuchen gerne kriminalisierten spekulativen Tätigkeit [3]. Für deren Ergreifung ist nicht selten eine hohe Belohnung ausgesetzt. Ausgesetzt sind „die Aktivisten“ aber dabei sogar dem Risiko des Totalverlustes.

„Spekulation“ bedeutet zunächst nur: Über Zukunft nachdenken; schon heute so zu denken, wie die anderen erst morgen denken werden! Dagegen hat keiner etwas! Bei der Tat fängt es an. Wenn sie Gewinne bringt! Das ist für Sozialgermanen verdammungswürdiges „arbeitloses Einkommen“. „Vordenken“ kommt bei ihnen unter „Arbeit“ nämlich nicht vor! „Nachdenken“ meist auch nicht!

Die im Vergleich zu Spekulationsgewinnen problematischeren Spekulationsverluste werden dagegen kaum beachtet. Das mag daran liegen, dass „beim Sozialen“ Neid und Missgunst stärkere Motive sind als Übelwollen und Schadenfreude.

Jeder Mensch „spekuliert“ jedoch mehrmals täglich. Spekulation als solche kann also kaum ein ethisches Problem sein! Sie kann es nur werden in Verbindung mit Tun: Jemand hat in weiser Voraussicht das „Salz der Erde“ gehortet, weil er eine Knappheit kommen sah, und nutzt nun gedanken- und skrupellos seinen Vorteil aus. Hier kam es in der Geschichte immer wieder zu Tumulten, wenn der Spekulant beim Umgang mit seinem Vorteil nicht dieselbe Weisheit zeigte wie beim Nachdenken über die Zukunft, unmäßig wurde in seinen Ansprüchen und dies andere spüren ließ.

Spekulative Tätigkeiten haben Risiken. Risikotragen wird „im Durchschnitt“ dennoch gut bezahlt, weil nur wenige Menschen bereit sind, dem Scheitern direkt in die Augen zu sehen. Je höher das Risiko, umso höher die Prämie. Diese Prämie könnte sich jeder holen. Niemandem ist es verwehrt, sich an „Spekulationen“ zu beteiligen, die beim Eintritt eines (un-)erwarteten Ereignisses diese Prämien einbringen.

Solche Risiken werden gerade für kleine Geldbeutel sogar künstlich erzeugt: Wettbüros und Spielhöllen sind voll von solchen Angeboten. Wer sein Geld so einsetzt, könnte das natürlich auch in Aktien oder Fremdwährungen tun. – Doch muss man dazu nicht mehr Wissen haben? Man kann sicher, aber muss man? Solange Schimpansen und Orang-Utans ausgewachsene und ausgewaschene Analysten schlagen, nicht unbedingt! Die Wissenschaft nennt das die Random Walk-Hypothese, Kursbildung nach dem Zufallsprinzip. Und welches Wissen hilft in der Spielhölle?

Schimpfen Politiker auf die Gier und verbreiten durch sprunghafte Gesetzespolitik Heu-Schrecken unter Investoren, erhöhen sie deren Risiko und geben der „Gier“ nun erst richtig Feuer. Ein verunsicherter Investor verlangt höhere Zinsen, auch zu Lasten der Arbeitseinkommen oder er investiert erst gar nicht, zu Lasten von Arbeitsplätzen. Will aber er das Risiko nicht mehr tragen, werden es alle(!) stärker tragen müssen. Denn das Risiko ist da; irgendwer muss die Zeche zahlen für Fehlspekulationen. Der möchte aber auch Erfolg einfahren, wenn er richtig lag. Genau dafür fehlt dem Sozialisten aber das Verständnis genau wie für die Rolle des Risikos in diesem System.

Das „risikolose Leben“ der Bevölkerung in der ehemaligen DDR war doch nur scheinbar so. Den Preis für die verdeckten und versteckten Risiken zahlten am Ende alle: vor der Wende nur die im Osten, nach der Wende gerade die im Westen. Da haftete zunächst scheinbar niemand mit privatem Vermögen für die systembedingte Wirtschafts- und Regierungspleite. Im Effekt allenfalls die, die man vorher enteignet hatte. Doch am Ende bürgten alle, einschließlich der westlichen Brüder und Schwestern! Die Wessis übernahmen da ein Erbe, das sie nicht ausschlagen konnten. Das ist es doch, wofür die Ossis den Wessis so dankbar sind, dass sie ihnen die PDS geschickt haben. So ein Kohl!

Man hatte im System der DDR alle Effekte des Moral Hazard, welche die Property Rights-Theorie voraussagt: Die allgemeine Minderung der Leistung in der DDR war z.B. „Versicherungsbetrug“ an allen Mitbürgern, die zugleich Anteilseigner und damit Risikoträger ihres „Versicherungsvereins“ waren.

Wie unsterblich Kapital in dieser DDR war, konnte man am Zustand der Wohngebäude und Fabrikanlagen sehen. Dieser Staat hat sich nicht nur von Steuern und Erträgen seiner Betriebe ernährt, er hat am Ende auch von der Substanz seiner Wirtschaft gelebt. Er hat Menschen und Betriebe haften lassen für seine ökonomischen Fehler, ja für die Fehlkonstruktion des gesamten Systems.

B. Wirkliche und unwirkliche Kapitalisten. Wirkt wirklich unwirklich!

Der Crash der DDR zeigt wie jeder Börsencrash, dass die Geschichte vom unsterblichen, risikolosen Kapital ein sozialistisches Märchen ist. Populär, aber gröbster Unfug. Ebenso wie die zweite Behauptung von Creutz:

„Die wirklichen Kapitalbesitzer beziehen ihr Einkommen ohne Arbeit“. –

Ein „unwirklicher“ Kapitalbesitzer ist offenbar ein Unternehmer, der in seinem Unternehmen sechzig bis siebzig Stunden pro Woche arbeitet. Ein „wirklicher Kapitalbesitzer“ ist das ein Rentner, der von der Rentenversicherung lebt und dessen Sparkonto spärliche 2% abwirft, ohne dass er dafür (noch) arbeitet?! Das käme heraus, wenn jeder, der arbeitsloses Einkommen bezieht, auch „wirklicher Kapitalbesitzer“ wäre. Welch von Humanverzückung vernebeltes Gehirn muss man haben, wie besoffen von der eigenen Moralität muss man sein, um so etwas in die Welt zu setzen?

Man könnte zudem die Sache umdrehen und sagen: Die „wirklichen“ Arbeitsleistenden beziehen ihr Einkommen ohne Kapitaleinsatz. – Na, und? Deshalb sind sie auf Kapital angewiesen, vor allem wenn sie ein hohes Arbeitseinkommen beziehen wollen. Denn nur und gerade bei hoch kapitalintensiven Arbeitsplätzen lassen sich hohe Einkommen für den Einsatz des Humanvermögens erzielen. Die kapitallose Handarbeit, falls es die überhaupt gibt, ermöglicht allenfalls noch Künstlern ein Auskommen. Und da auch nur sehr wenigen.

Die Creutz-Geschichte von den Lehnstuhlinvestoren macht zwar Stimmung gegen Unternehmer und Kapitalisten, trifft aber kaum die Realität. Nicht die Realität zu Marxens Zeiten und schon gar nicht die von heute. Wer etwas aus seinem Geld machen will, muss täglich hinterher sein, muss ordentlich dafür arbeiten, wenn man unter Arbeit nicht nur solche mit Hammer und Sichel versteht. Michael Jackson und andere haben gezeigt, wie man ansonsten selbst größte Vermögen verspielen kann. Und Berater haben immer große Hände und geräumige Taschen.

Geld allein bekommt keine Kinder, man muss sich darum kümmern. Investoren am neuen Markt mussten das schmerzhaft erfahren, als sie von ihren Arbeitnehmern, denn das sind die meisten Vorstände und das Führungspersonal, nicht nur um ihre Erträge, sondern auch um ihre Kapitalsubstanz gebracht wurden. Wer nicht rechtzeitig die Zügel anzog oder sich aus dem Investment verabschiedete, den bissen noch im Lehnstuhl sitzend die Hunde und schickten auch mühsam erspartes Finanzkapital in den Tod. Die Ansprüche waren entwertet. Nicht anders als bei vielen Arbeitnehmern, die damals ihre ersten und letzten Schritte auf dem Börsenparkett wagten. Doch Creutz hat nicht mit diesen, sondern nur mit „reinen“ Arbeitnehmern, mit den „wirklich Arbeitsleistenden“, besonderes Mitleid.

Doch wenn es „wirkliche Arbeitsleistende“ und „wirkliche Kapitalbesitzer“ gibt, wer sind dann die „unwirklichen“? Die Diktion allein klingt wirklich unwirklich! Die versteht man wohl selbst auf Humanus, unserem sprachtrüben Sozialstern, nur „ein Stück weit“. Dort ist Erdenken und Erfühlen wichtiger. Das notorische „Wirklich“ von Creutz lässt gerade dafür wirklich alles offen, also wirklich nicht ganz dicht! Um weil das wirklich schick und flexibel ist, macht Creutz auch real weiter so!

C. Arbeit muss den Zins erwirtschaften. Doch zum Nachteil des Lohns?

Creutz sieht eine Gruppe von Menschen in besonderer Weise gekreuzigt:

„Die wirklich Arbeitsleistenden müssen neben der „Verzinsung“ ihres „Humankapitals“ (sprich: Lohn!) zwangsläufig auch noch die Einkünfte der wirklichen Kapitalbesitzer erwirtschaften“. –

Natürlich! Die „wirklich Arbeitsleistenden“, also vermutlich nur die gewerkschaftlich organisierten 35-Stunden Arbeitnehmer ohne Sparkonto und Belegschaftsaktien[4], müssen außer für ihren Lohn auch für die Kapitalverzinsung arbeiten. Aber was ist die Alternative? Sollen diese „wirklich Arbeitsleistenden“ auf den Kapitaleinsatz verzichten, weil sie sich von den „wirklichen Kapitalbesitzern“ ausgebeutet fühlen? Dann bräuchten sie nur ihren Arbeitslohn erwirtschaften und nicht auch noch die Verzinsung des Kapitals. Ist das die Botschaft des Herrn Creutz von den „gegebenen kapitalbedingten Ausbeutungsmechanismen“ und deren Vermeidung?

Sollen die „wirklich Arbeitsleistenden“ künftig die Erde mit ihren Händen aufschaufeln, um mehr (!?) Lohn zu haben? Ohne Kapital können sie nämlich nicht vom Kapital ausgebeutet werden, brauchen nicht zusätzlich die Einkünfte der „wirklichen Kapitalbesitzer“ zu erwirtschaften. – Verdienen „wirklich Arbeitsleistende“ ohne Kapitaleinsatz anderer „wirklich“ mehr? Ein Blick in die Entwicklungsländer entlarvt den creutzbraven Schwachsinn prompt.

Profitieren Arbeitnehmer bei ihren Löhnen nun von besserer Kapitalausstattung oder leiden sie darunter, weil sie zusätzlich die Zinsen erwirtschaften müssen?I st nicht die „Verzinsung des Humankapitals“ mit der Erhöhung der Produktiv- und Finanzkapitalintensität gestiegen? Trotz der Notwendigkeit, zusätzlich Kapitalerträge zu erwirtschaften! – Niemand, der nicht mit dem Klammerbeutel gepudert ist, wird auf Dauer Finanzkapitalverträge abschließen, von denen er selbst und seine Unternehmung nicht profitieren! Dabei sind die „wirklich Arbeitsleistenden“ des Herrn Creutz eingeschlossen. Auch auf dem Arbeitsmarkt herrscht Wettbewerb. Gute Leute sind da nur für gutes Geld zu bekommen.

Will Herr Creutz, dass die Arbeitnehmer nicht mehr für die Erträge des von ihnen zum eigenen Vorteil verwendeten Kapitals arbeiten? Dann soll er den Rentnern erklären, dass sie künftig bis zum Lebensende weiterarbeiten müssen. Er soll dem „wirklich Arbeitsleistenden“ erläutern, dass er auf sein Sparkonto künftig keine Zinsen mehr erhält. Oder was glaubt der Gutmensch Creutz, wo Zinsen erwirtschaftet werden, nachdem Banken Spargelder an Unternehmen ausgeliehen haben?

Wer glaubt Creutz, würde sein Geld noch in dieses Land geben, wenn er keinen Ertrag auf seinen Kapitaleinsatz erwartet? Das Ergebnis der zu Ende gedachten Kritik von Creutz ist ein Stadium, das hinter die reine Handarbeit zurückfällt. Denn auch für die braucht man Werkzeuge. Die sind aber Produktiv-Kapital. Niemand kommt umhin, für die Anschaffung von Ersatzwerkzeugen zu arbeiten und für mehr und bessere Werkzeuge, wenn er Wachstum will.

D. Bist Du denn des Wahnsinns fette Ausbeutung?

Zwingt man hierzulande einen Arbeitslosen, der sich mit einer Imbissbude selbständig machen will, zur Aufnahme von Kapital? Lässt sich der aus eigenem Antrieb ausbeuten von Kapitalisten und Banken? Warum sollte er das tun? Um sich zu schaden? Oder tut er das, weil er dafür einen höheren Ertrag erwartet als ohne dieses Kapital?

Mit dem nun Selbständigen, nicht mehr „wirklich Arbeitsleistenden“, hat Creutz kein Mitleid. Der hängt nun nicht mehr als Arbeitsloser ab und ist auch nicht mehr abhängig. Nicht vom Geschäft und dessen Ergebnis!? Er wollte es so: Es gilt der Grundsatz des römischen Rechts Volenti non fit iniuria. Dem Wollenden geschieht kein Unrecht.

Warum aber soll das beim freiwilligen Arbeitsvertrag anders sein? Warum endet der immer in creutzverdammter Ausbeutung des „abhängig Beschäftigten“?

Bei Spitzensportlern und Vorständen der Weltmarktgiganten hatte Neschle eine andere Meinung (Teil 1, Leon Neschle 22). Zu dieser Meinung steht er, selbst wenn er sie mehrfach ändern müsste. Zumindest was die Seite angeht, die hier ausbeutet.

Beutet der Spitzenfußballer nicht seinen Verein und der Vorstand seine Firma aus? So einfach ist es nicht einmal da! Fußballvereine mit den höchsten Gehältern, sind im Schnitt auch am erfolgreichsten. Wer ist hier Henne und wer Ei? Ist das Gehalt Ursache des Erfolgs oder der Erfolg Ursache des Gehalts? Werden bei Misserfolg auch die Gehälter gesenkt, kann man die Ausbeutung der Vereine durch die Spieler nicht mehr als Regelfall betrachten.

Nicht alle Arbeitsverträge stehen wie in den Augen von Creutz auf einer Stufe mit Schutzgelderpressung oder der Vereinbarung von erzwungenem Lösegeld. Bei Letzteren spricht man mit Recht von Ausbeutung. Die Masse der Vertragspartner besteht auch nicht aus willigen Schafen, die sich freiwillig von kapitalistischen Wölfen fressen lassen und die der sozial(istisch)e Staat vor diesen Wölfen in Schutz nehmen muss.

Oder sollen sie sich ihr Kapital der „wirklichen Kapitalbesitzer“ einfach nehmen, soll Diebstahl legitimiert werden? Das ist er ja schon durch ein fragwürdiges Steuersystem (siehe Leon Neschle 15). Am Ende gäbe es aber noch eine Alternative zur Beteiligung aller „wirklich Arbeitsleistenden“ am Produktivkapital. Der Staat würde jeden mit Kapital ausstatten. Scheinbar kostenlos! Dafür wird er allerdings den Kapitalertrag einheimsen. Das muss er. Denn Kapital will erhalten sein, verwaltet und verzinst. Solche Systeme gab es schon. Sie waren das Kreuz des Ostens. Von der Humanität solcher Systeme vermag Neschle nichts Positives zu berichten.

Creutz träumt zwar nicht öffentlich davon, doch seine Träume führen genau da hin. Den 29 Irrtümern rund ums Geld (einer seiner Buchtitel) sollte er, schon um die Sache glatt zu machen, den größten Irrtum hinzurechnen: seinen eigenen. Wie bei vielen Humancreutzern zielt er zwar auf die Humanität, trifft aber den Menschen und seine ökonomische Basis.

E. Zwangshilfe für dösige Malocher. Macht sie bloß, nicht frei!

Bei Creutz zu finden: Das alte sozialistische Unverständnis von freiwilligen Verträgen, von denen beide(!) Beteiligten profitieren. Freiwillige Verträge sind ein Positivsummenspiel, das Mehrwert für beide Parteien erzeugt. Das gilt für Kapitalverträge genauso wie für Arbeitsverträge. Sonst würden diese Verträge nicht geschlossen.

Gäbe es dagegen Gewinner und Verlierer, sollte Creutz die Kräfte deutlich machen, die den benachteiligten Vertragspartner in den Vertrag zwingen, also etwa die angeborene Dösigkeit von „wirklich Arbeitsleistenden“. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass creutzbrave Sozio-Intellektuelle genau deshalb deren Partei ergreifen: Sie halten die „wirklich Arbeitsleistenden“ für zu dösig, es selbst zu tun.

Das ist die Unverschämtheit der Humanitätsdusler mit manischem Helfersyndrom. Sie erkennen selbst freiwillige Verträge zwischen geschäftsfähigen Menschen nicht an. Es zählt für sie allein ihr eigener ideologischer Maßstab nichtausbeuterischer Gerechtigkeit, den sie auf das Tauschergebnis anwenden, ohne den Willen der Vertragsparteien zu (be)achten.

Warum kann jemand bereit sein, für Zinsen des risikotragenden Kapitals zu arbeiten? Ja, warum nur? – Was sich der fanatische Gutmensch nicht erklären kann, erklärt er zur Ausbeutung. Er verdenkt in ideologischer Überhöhung, Gott selbst täte es so, würde er nur die Fakten kennen.

Selbstüberhebung unter dem Deckmantel der Humanität! Unverschämtheit im Büßergewand der Bescheidenheit! Missachtung menschlichen Willens, freiheitstötende Gesinnung! Respektloser Menschenbehandlung unter dem Vorwand höchster Achtung für das Humane! Es zählt nicht der freie Wille, sondern nur das eigene Ideal vom Humanen. Kryptischer Totalitarismus unter dem Schirm fürsorglicher Humanität!

Selbst beim freiwilligen Tausch soll die Verteilungsparanoia gelten: Was der eine bekommt, kriegt der andere nicht mehr. Hat der eine einen Vorteil, muss der andere im Nachteil sein. Das beste Ergebnis ist die perfekte Teilung. Die liegt da, wo jeder gleich viel hat. Das ist die gerechte Lösung.

Doch wie perfekt eine Teilung ist, entscheidet fast jeder anders. Und bei Dauerbeziehungen darf er den Blick nicht auf einen einzelnen Tauschakt lenken. Bei Ehepartnern[5], die für sich eine perfekte Teilung von Aufgaben und Vermögen gefunden haben, mögen Außenstehende dennoch eine Ausbeutung der Ehefrau oder des Ehemannes erkennen. Wer entscheidet das? Die Ehepartner selbst, sagt der Liberale. Dabei kann in verschiedenen Ehen durchaus anders über ausbeutungsfreie Beziehungen gedacht werden. Dann gibt es mehrere gerechte Lösungen. Was jeweils Gerechtigkeit ist, hängt allein vom Willen der Beteiligten ab. Und da gilt: Jeder Jeck ist anders! Also: Freimus statt Sozialheit oder Freibier statt Sozialmus!

Der Sozialist räumt dagegen außenstehenden Meinungen den Vorrang ein vor der Meinung der Beteiligten. Im politischen System sind das Auffassungen einer Partei oder eines Diktators. Er glaubt sich allein oder diese Instanzen im Besitz des „richtigen Maßstabs für bzw. gegen Ausbeutung“. Dessen moralische Qualität erlaubt ihm, die „ausbeutungslose Situation“ selbst gegen den Willen der Beteiligten herzustellen! Ergebnis ist eine Ausbeutung, an der sich auch die politischen Instanzen bedienen.

Für alle, die vom „idealen Sozialismus“ mit Freiheit träumen: Die Nichtanerkennung von Freiheitsrechten ist jedem sozialistischen System immanent. Es gibt keinen „vegetarischen Schlachthof“ und keinen „demokratischen Sozialismus“ (Leon Neschle 18)! Das ist nicht nur Sache der noch real vegetierenden Sozialistenregime.

Die Entwürdigung der Freiheit folgt ideologisch aus der Vorstellung, mit jedem Tausch (freiwillig oder nicht) sei Ausbeutung verbunden, insbesondere mit dem zwischen Arbeit gegen Geld. Und aus der moralisch-ideologischen Anmaßung, allein den eigenen Maßstab anzuwenden! Ausbeutung ist, was diesem Maßstab nicht entspricht. Wo und weil sich der hinter Floskeln verbirgt, wird staatliches Tun beliebig. Der sozialistische Mensch ist bloß, nicht frei! Also bloß nicht frei! Das ist die ganze schöne „Humanwirtschaft“ dabei!

Neschle würde sich strikt verbitten, dass andere bestimmen, was für ihn „gerecht“ ist! Er schließt Verträge nur ab, wenn sie aus seiner Sicht einen Vorteil für ihn bringen. Auch er ist „wirklich Arbeitsleistender“. Braucht er einen Vormund, dann nicht Herrn Creutz, der trotz der inhumanen Sprach-Burka „Humankapital“ seinen Röntgenblick bis tief in die nackten Tatsachen der Ausbeutung „wirklich Arbeitsleistender“ dringen lässt. Solche Durchblicker haben immer schon gefehlt. Weit! Und vor allem Neschle gerade noch!

Dazu sagt Neschle mit Wolfgang Neuss: Lacht auf Verdummte dieser Erde!

Der Mensch muss sterben, viel zu früh,

doch Kapital, das ohne Müh’ (?!)

uns Zins-es-Zinsen immer gab,

das sieht niemals sein Euro-Grab?!

Nein, diese Dummheit ist nicht erblich,

und trotzdem ist sie wohl unsterblich!

Der Bonhomme, der will stets das Gute,

ihm ist ja so „sozial“ zumute.

So stolz erfüllt ihn die Moral,

da ist das Ende ihm egal.

So wird er Teil von jener Kraft,

die Gutes will, doch Böses schafft!


[1] Nachfolgende Zitate sind von Helmut Creutz in der März/April-Ausgabe 2005 der Zeitschrift Humanwirtschaft: „Humankapital“ – Das Unwort des Jahres 2004! Neschle verzichtet ja sonst auf Zitate. Das Pseudonym braucht schließlich einen Grund: Nur was wirklich nicht zitierwürdig ist, das zitiert Neschle dann doch. – Auseinandersetzungen mit dialektischen Verfassern färben ab!

[2]Bei einem englischen Fußballer starb das Finanzkapital einen besonders schönen Tod. Zur Hälfte durch Ausgaben für schnelle Frauen, leckere Autos und schicken Alkohol. Oder waren es leckere Frauen, zärtliche Autos und schneller Alkohol? In jedem Fall hat er die andere Hälfte einfach verprasst und damit dessen vorzeitigen Tod willentlich herbeigeführt. Eine Mordanklage bekam er nicht, obwohl er sein Capital gezielt hinrichtete! Vielleicht weil laut Creutz Kapital per Definition nicht stirbt!?

[3] Gerade hat sich Neschle in der Tageszeitung wieder mal ein Zeugnis linken Bauchdenkens aufgedrängt. Da steht „Die Linke“ bei einer Demonstration in Essen da mit einem Plakat: „Heuschrecken stoppen, Hedge-Fonds verbieten.“ Abgesehen davon, dass „!“ in diesem Fall richtig gewesen wäre, glaubt Neschle nicht, dass auch nur einer von denen weiß, was so ein Hedge-Fond tut und bewirkt. Aber das steht in einem anderen Essay!

[4] Die leitenden Angestellten empfangen nur die Gäste, damit die anderen in Ruhe arbeiten können. Auch wenn sie ansonsten sechzig oder mehr Stunden arbeiten, gehören sie offenbar nicht zu den „wirklich Arbeitsleistenden“, wenn sie, wie meist, an der Unternehmung beteiligt sind. Außerdem machen sie ja nur solche Arbeit wie Creutz selbst: Schreib- und Redekram. Keine wirkliche! Also wirklich!

[5] Ökonomisch gesehen ist die Ehe eine Tauschbeziehung, d.h. sie lässt sich (auch) unter diesem Aspekt betrachten.

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