Leon Neschle 68 (9. Woche 2010)

Das Interview zur Lage der Sozialen Marktwirtschaft

Kontrolliert der Staat die Wirtschaft, treffen die Lehrer statt der Manager die wirtschaftlichen Entscheidungen. Wer erwartet da Besserung? (Neschle)

Herr Neschle, Sie sind ein ausgewiesener Experte der Sozialen Marktwirtschaft …

Nein, nein, noch darf ich in Deutschland wohnen. Noch bin ich nicht ausgewiesen!

Aber Sie befürchten das?

Wenn es so weiter geht mit der schleichenden Wiedereinführung des Sozialismus durch den Erfolg der Linken, dann ja. Dann werden die Renegaten sicher nicht mehr dulden, die vom rechten Glauben des Sozialismus abweichen. Allen Andersgläubigen werden sie die böse Absicht unterstellen, den einzig moralischen Sozialismus torpedieren zu wollen.

Dabei zerstört der sich schon von ganz allein. Diejenigen, die gegen seine Prinzipien handeln, halten ihn sogar länger am Leben. Selbst die Schrebergärten als Resterscheinungen der Privatwirtschaft in der DDR taten das. Die DDR ist übrigens gar nicht so ehemalig, weil sie noch in den Köpfen mancher Leute herumgeistert, so als könnte sie alle guten Wünsche erfüllen wie der Lampengeist von Aladin. Doch es ist wie im Märchen: Der Geist aus alten Zeiten ist tückisch. Er erfüllt nie den Traum, sondern durch ihn wird der Wunsch zum Albtraum.

Worin sehen Sie da die größte Gefahr?

Dass die Leute meinen, gute Absichten allein genügen und sich nicht der Wirkungen bewusst sind, die ein sozialistisches Wirtschaftssystem mit sich bringt. Gute Absichten will ich der Linken gern zubilligen, sogar eine selbstzufriedene, pharisäerhafte Übermoral, die sich selbst verabsolutiert und die Moral ihrer Gegner diskreditiert.

Aber nach all den Skandalen in letzter Zeit, pfeift da die Soziale Marktwirtschaft nicht aus dem letzten Loch? Sind wir nicht mal eine Generation nach dem Hinscheiden des Sozialismus auch am Systemende der Sozialen Marktwirtschaft angekommen?

Ich hoffe es nicht! Doch wenn es der politische Wille der Mehrheit in diesem Lande ist, dann ja. Aber was ist deren Alternative?

Denken Sie mal an den Fußball. Da gab es auch jede Menge Skandale. Es gab Bestechung, Schiebung und Spieler, die jede Menge Kohle abgegriffen haben, ohne dafür Leistung zu bringen, z.B. Albert Streit vom FC Schalke 04. Und da gibt es den Krösus Bundesliga und den Hungerleider Kreisklasse, der nur von Subventionen und der Begeisterung seiner Spieler lebt.

Einigen ist es sicher egal, ob der Fußball weiterlebt. Aber wer von denen, die sich dafür interessieren, würde wegen solcher Dinge den Fußball aufgeben? Keiner! Er würde allein einige Regeln und Bedingungen ändern. Aber bei der Marktwirtschaft? … Da bin ich mir gar nicht so sicher!

Warum sollte das denn bei der Sozialen Marktwirtschaft anders sein?

Da gibt es zwei Gründe: Erstens, weil die Lage hier ein wenig anders ist. Die großen Vereine, das sind hier die Unternehmungen, und reichen Spieler werden vom „DFB“, hier also dem Staat, dazu gezwungen, arme Vereine und Spieler zu unterstützen. Das ist die Bedingung dafür, dass die großen Vereine überhaupt in der Bundesliga mitspielen dürfen. Zweitens, weil die Leute das Spiel der Marktwirtschaft viel weniger verstehen als den Fußball, obwohl sie täglich damit zu tun haben.

Warum aber verstehen die Leute denn so wenig davon und Sie so viel?

Nun, Frau .. Öööh, ääähhhhhh, da will und muss ich mich in Bescheidenheit üben. Da gibt es nicht viel zu verstehen. Deutschland ist, anders als die angelsächsischen Länder, ein Land, in dem der Weisheit des Staates schon immer mehr vertraut wird als der seiner Bürger. Den Deutschen gelingt etwas, was sonst niemand auf der Welt sich leistet: Er verachtet seine Beamten als faul und unfähig, beneidet sie um ihren Status, fordert aber zugleich mehr staatliche Aufsicht durch genau diese Beamten.

Aber das ist doch ein Widerspruch!

Sie sagen es! Wenn es die Marktwirtschaft nicht richtet, dann müssen es eben diese Beamten tun, die im Auge des Deutschen aber überwiegend arbeitsscheu, nachlässig und inkompetent sind. Wie also das? Wenn Sie sich mal ausmalen, dass diese Leute auch die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen fällen sollen.

Das mag ja ein Vorurteil gegenüber den Beamten sein und in den meisten Fällen ist es auch so. Aber verdammt noch mal: Dann müssen sich die Leute eben für eines ihrer Vorurteile entscheiden. Beide gleichzeitig verträgt der abendländische Geist zumindest nicht.

Na, das wäre trotzdem schlimm, wenn das Beamtentum auch die Wirtschaft regiert! Aber kommen wir zurück zur Frage des mangelnden ökonomischen Verständnisses.

Nun, Frau … hhmmm, das Ganze beginnt bei uns in der Schule. Da wird alles Mögliche gelehrt nur nicht das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge. Die meisten Lehrer haben das selbst nicht gelernt und sind immer noch von der ökonomischen Gehirngülle der Alt-68er kontaminiert. Hinzu kommt, dass die Lehrer vom Staat bezahlt werden und gar nicht merken, dass dies ohne eine funktionierende Marktwirtschaft gar nicht möglich wäre. Das ist in etwa so, als würden die DFB-Mitarbeiter glauben, sie bekämen ihr Geld auch ohne dass wirtschaftlich erfolgreich Fußball gespielt wird.

Das sind knackige Worte. Aber lässt sich der Staat denn mit dem DFB vergleichen?

Der marktwirtschaftliche Staat ja, denn er bestimmt ja nicht das Ergebnis der Spiele, sondern regelt nur deren Abläufe, soweit er etwa den Spielbetrieb organisiert, auf die Spielregeln Einfluss nimmt und die Schiedsrichter stellt. Die Spielregeln heißen Gesetze und die Schiedsrichter nur Richter. Nach diesen Regeln, deren Einhaltung die Schiedsrichter überwachen, gibt es Spiele auf nationalem oder internationalem Niveau in den Stadien, die im Grunde die verschiedenen Marktplätze darstellen. Es gewinnt dabei nicht immer der Beste, sondern wegen der Ungewissheit auch mal derjenige, der mehr Glück hat. Nur nachhaltig kann man nicht auf sein Glück setzen. Denn das Glück ist eine Hure, mal hier mal dort.

Lässt sich diese Metapher oder dieser Vergleich auch international durchhalten?

Wie beim DFB gibt es einen europäischen Verband, die EG statt der UEFA, und einen Weltverband, der nicht FIFA heißt, sondern UNO. Die UNO ist freilich stärker zerstritten und hat weniger Einfluss auf das internationale Regelsystem als im Vergleich die FIFA. In der Wirtschaft sehen viel weniger Leute ein, dass nach denselben Regeln gespielt werden soll. Das hat zur Folge, dass sie entweder nicht mitspielen oder sich nach dem Spiel ungerecht behandelt fühlen. Das ist so, als würde der eine Fußball nach Regeln wie im Rugby oder im American Football spielen wollen, aber der andere setzt seine Regeln durch und damit auch ein anderes Ergebnis.

Aber der Staat? Ist der vergleichsweise ohnmächtig wie die Uno? Hat er weniger Macht als der DFB?

Im Gegenteil: Der Staat ist in der Marktwirtschaft weit einflussreicher als der DFB im Fußball. Ihm gehören zwar nur wenige Vereine und Stadien, aber ihm ist – anders als dem DFB – neben der Organisation des Spielbetriebs auch da die gesamte Sicherheit rund um die Stadien, also die Märkte, unterstellt.

Und wer bezahlt den Staat dafür?

Vor allem die Spitzenvereine der Wirtschaft über Steuern und sonstige Abgaben. Relativ gesehen wird aber von den Vereinen der mittleren Klasse eher mehr verlangt, zumal die großen Vereine bei ihren Spielen in erheblich größeren Umfang kostenlos Sicherheitsleistungen erhalten. Das nennt sich Subvention und die Großen bekommen davon einen großen Batzen, auch wenn sie es selbst bezahlen könnten. Manchmal kommt es auch vor, dass Vereine ihren Beitrag nicht zahlen wollen oder ihren Beitrag betrügerisch reduzieren. Das tun sie auch deshalb, weil sie im Grunde sie nicht mehr Leistungen vom Staat erhalten, wenn ihr Beitrag höher ist. Das sind dann die Steuerhinterzieher. Oder die Steuerverweigerer, die dieses Spiel überhaupt nicht mitspielen.

Was ist also mit den denen, die dieses Spiel nicht mitspielen und mit den kleinen Vereinen?

Zu denen Verweigerern des Mitspielens gehört auch die Gruppe der HartzIV-Empfänger, die arbeiten könnte, aber es nicht tut und sich in der Hängematte der Sozialhilfe eingerichtet hat. Das ist sicher nicht die Mehrheit dieser Leute, aber es gibt sie. Die zahlen unterm Strich nichts oder werden unterstützt von denjenigen, die bei diesem Spiel erfolgreich sind. Das eben ist das Soziale an der Marktwirtschaft.

Aber wenn immer weniger mitspielen und immer mehr Unterstützung wollen, dann überfordert das irgendwann den Spielbetrieb. Wenn die Spieler der kleinen Vereine, die mitspielen oder auf der Bank sitzen und mitspielen wollen, unterm Strich weniger bekommen als die Nichtspieler, dann wird es brenzlig. Denn gerade diese „kleinen“ Spieler müssen das Spiel nicht als Hobby betrachten, sondern als bitteren Ernst, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Das ist anders als beim Fußball!

Aber hinkt dann nicht ihr Beispiel?

Ja, aber nur mit einem Bein. Und nicht alles was hinkt, ist ein Beispiel. Schon gar kein gutes! Der ganze Sozialismus etwa.

Was soll denn daran so schlecht sein? Der Staat, also wir alle, stehen da doch solidarisch füreinander ein!

Der Staat ist da noch weniger „Wir alle!“ als heute. Es gibt bislang kein sozialistisches Land, das nicht am Ende von einer verkrusteten Riege alter Männer kontrolliert wurde. Doch diese Diskussion führt uns hier auf Abwege. Also lassen Sie uns zum Wirtschaftssystem zurückkehren …

… und zu Ihrem Fußballbeispiel …

Von mir aus. In einer Marktwirtschaft läuft das Spiel nach Regeln ab, die von Zeit zu Zeit kritisch diskutiert werden (Denken Sie etwa an Torrichter oder an den Chip im Ball!). Ansonsten aber ist der Ausgang eines Spiels unsicher. Er beruht auf Können und Glück, was allzu oft geleugnet und dem Können zugeschrieben wird. Wurde das Spiel nach gerechten Regeln gespielt, wird jeder – ich betone jeder – Ausgang akzeptiert. Gerecht ist das Ergebnis hier, wenn es nach als gerecht betrachteten Regeln zustande kam. Da kann auch ein Verein mal hoch gewinnen oder verlieren.

Also ist es nicht ungerecht, wenn ein Verein Zwölf zu Null gewinnt?

Solange es nach gerechten Regeln verläuft nicht. Das schafft ja gerade den Antrieb für alle, es der Siegermannschaft gleichzutun. Der Erlass und die Überwachung dieser Regeln ist übrigens die Aufgabe des „DFB-Staates“. Wichtig ist dabei wie beim Fußball, dass man das System nicht überreguliert, schon gar nicht mit sich widersprechenden Regeln und dass die Richter das Spiel nicht zerpfeifen und die Vorteilregel richtig auslegen. Nur dann macht das Spiel richtig Laune, weil es in Gang gehalten und nicht von Dauerquerelen unterbrochen wird.

Und was bedeutet in dem Zusammenhang „Soziale Marktwirtschaft“?

Die Soziale Marktwirtschaft geht am Ende der Saison hin und nimmt der Siegermannschaft ein paar Tore weg, um sie den Verlierermannschaften zuzuordnen, damit auch die weiter mitspielen wollen oder können. Das Schwierige dabei ist, dass dadurch der Tabellenstand nicht verändert werden darf. Denn das werden die führenden Vereine und ihre Spieler noch verkraften und akzeptieren. Sie haben sich am meisten angestrengt. Würde diese Umverteilung den Tabellenstand verändern, würde das Spiel den Mannschaften kaum mehr Spaß machen. Diese Lage haben wir derzeit zwischen HartzIV-Empfängern und Geringverdienern.

Und wie wäre es, wenn wir die Soziale Marktwirtschaft durch den Sozialismus ersetzen?

Führen wir ein sozialistisches System nach planwirtschaftlichem Muster ein, dann wird zwar weiter Fußball gespielt. Aber egal wie gut eine Mannschaft ist und ob und wie der einzelne Spieler sich einsetzt: Alle Ergebnisse werden einfach vom DFB-Kontrollausschuss festgelegt, in aller Regel sogar im Vorhinein.

Aber wer hat dann noch Lust zum Fußballspielen?

Im Grunde lohnt es sich gar nicht mehr zu spielen. So wird das Ganze zu einer lustlosen Pflichtveranstaltung. Das ist ein ernstes Problem, wenn nicht gar der Knackpunkt. Aber letztlich beobachten wir dasselbe Phänomen derzeit in unserer Wirtschaftsordnung bei HartzIV-Empfängern, die eigentlich wieder mitspielen wollen. Ökonomisch lohnt es sich nicht für sie. Es gibt nur den Stolz und das Pflichtgefühl als Antrieb und auf die kann man sich eben nur bei wenigen Menschen verlassen.

Sehen Sie das nicht zu skeptisch?

Also, Frau … Ähhem, da denken Sie mal an die Helden der Arbeit und die vielen vorbildlichen sozialistischen Persönlichkeiten. Die waren nicht anderes als Ikonen des Pflichtbewusstseins gegenüber der Systemidee des Sozialismus. Sie sollten die fehlenden ökonomischen Anreize ersetzen. Und hat das geklappt? ….

Sie werden es mir sagen!

Neee! Mal als Strohfeuer in einer der vielen Kampagnen, die man brauchte, um wenigstens die Wirtschaft zum Glimmen zu bringen. Ein echtes Feuer konnte man damit freilich nicht entfachen.

Aber viele Menschen sehnen sich doch nach der sozialen Sicherheit der ehemaligen DDR zurück.

Diese Schein-Sicherheit wurde erkauft durch einen niedrigen Lebensstandard, durch die Unsicherheit des Systems und am Ende durch dessen Zusammenbruch. Das war Leben auf Dauer-Pump. Nur pumpte man sich Sicherheit. Die DDR war ein Versicherungssystem, für das jahrzehntelang niemand die ökonomisch notwendigen Versicherungsbeiträge zahlte. Ein riesiger „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“.

Da schenkte der Staat zwar allen diese Versicherung, aber alle hätten auch für die Schäden haften müssen, wenn nicht die Wende gekommen wäre. Selbst für solche Schäden, die nur deshalb entstehen, weil jeder versichert ist, denn warum soll er da noch viel tun. Moral Hazard nennt das die Ökonomie.

Je älter die DDR wurde, umso mehr kostete die Gesamtversicherung des Volkes. Im Westen verkauften Versicherungsvertreter dafür Versicherungen. Und die Volksvertreter der DDR? Die verkauften das Volk, das am Ende gar nicht mehr allein für die Folgen der jahrzehntelangen Scheinsicherheit haften konnte. Dafür hafteten am Ende vor allem die Bürger der alten Bundesrepublik. Und es gibt ja nicht wenige Rentner im Westen die erbost darüber sind, dass die Rentner im Osten insgesamt sogar besser dran sind, wenn sie auf staatliche Rente allein angewiesen sind.

Und deshalb mögen Sie es nicht, wenn die Linke ….

Da haben Sie völlig recht! ….

Das ist ein schönes und würdiges Schlusswort. Unsere Zeit ist um. Haben Sie vielen Dank! Ich freue mich schon auf das nächste Interview, Herr Neschle.

Lieben Dank, Frau …. hmm äh, öh.

Und damit zurück nach Hamburg.

Der deutsche Mensch versteht sehr viel,

von dem beliebten Fußballspiel.

Doch spricht jemand von Marktwirtschaft,

versagt des Deutschen Geisteskraft.

Dabei könnt man es übertragen,

was wir so über Fußball sagen?

Was immer auch am Ball passiert,

das Resultat wird akzeptiert,

denn alle billigen die Regeln,

nach der sie den Erfolg „auskegeln“.

Können gewinnt und manchmal Glück,

doch niemand dreht das Rad zurück. –

Am grünen Tisch der Sozialist

sagt, was gerechte Sache ist.

Bevor einer den Ball sich nimmt,

ist das Ergebnis schon bestimmt.

Da lohnt sich weder Glück noch Können,

egal wie da die Spieler rennen.

Die Lust am Spiel vergeht sehr schnell,

gefordert wird, dass nun ideell

jeder sich einsetzt und mit Kraft

den echten Sozialismus schafft.

Doch innen drin regiert der Frust,

zu diesem Spiel hat keiner Lust.

Doch kaum jemand hat je kapiert,

warum so etwas kollabiert.

Wenn Anreize zum Beitrag fehlen,

der Staat kann jedem alles stehlen,

fehlt schließlich auch die Möglichkeit,

für die Soziale Sicherheit.

Und alle müssen dann probieren,

die Standards stets zu reduzieren.

Der Propaganda falschen Ton

entlarvt der bröckelnde Balkon.

Am Ende glaubt man daher eher,

man sei zu Gast in Nordkorea.

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